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Wort zum Wochenende

Weinlese

Vor einigen Wochen wanderte ich von Iphofen auf den Schwanberg. Den Schatten der Alleebäume verlassend, pilgerte ich in zunehmender Mittagshitze durch die Weinberge. Unterwegs mit leichtem Gepäck. Ohne zeitlichen und inneren Druck stellte sich Muße in der Bewegung ein. Kennen Sie das? Wenn das gleichmäßige Gehen den Drang des Tun-Müssens befriedigt, die Gedanken allmählich wie Wolken dahinziehen, nicht mehr am Gipfel des eigenen Egos hängenbleiben?

Nach und nach nahm ich Unterschiede wahr. Gebiete mit wild wuchernden Weinreben und prachtvollen Trauben. Rebzeilen, die bereits beschnitten waren. Alte Weinstöcke mit kräftigem Rebansatz und Spuren vieljährigen Beschnitts. Gut gepflegt. Junge Weinstöcke, fast blank, erstes Grün. Verheißungsvoll. In dieser Umgebung ist auf einmal das Jesus-Wort vom Weinstock präsent vor Augen. „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.“ (Johannes 15) Hier mitten in den Weinbergen nehmen die Worte Gestalt an. Sind zu spüren, zu riechen und zu schmecken. Neu zu „begreifen“.

Der Weinstock ist die kultivierte Form der Weinrebe, liest man. Weinstöcke mit ihren Reben und Trauben sind mehr als wild wachsendes Naturprodukt, sie gedeihen durch die Pflege des Weingärtners. „Mein Vater ist der Winzer“, sagt Jesus. Der Winzer hat das Ganze im Blick: er schneidet die Reben aus, wo Früchte ausbleiben; er schneidet zurück, wo etwas ohne Ziel und Maß wuchert. Das gilt für eigene Vorhaben und auch für die Kirche: nicht jeder Aktionismus ist süß, nicht jede Strukturentwicklung bringt reiche Ernte. Mensch und Kirche hängen am Weinstock, an Jesus Christus. Es ist Freiheit und Aufgabe des Einzelnen, Christus nicht loszulassen, verbunden mit ihm zu bleiben. „Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt.“, so erklärt Jesus es.

Meine Auszeit auf dem Schwanberg ist vorbei. Ich bin zurück im Alltag: Familie, Freunde, Ehrenamt, Arbeit. Manches läuft gut, anderes nicht. Der Blick fällt auf Schlagzeilen und Hintergrundberichte: Demokratiezweifel und politische Ratlosigkeit, Gewalt und Klimaveränderung. 11. September und Gedenktag zur Obdachlosigkeit. Christen sind nicht naiv oder weltfremd. Sie sind mitten in der Welt, mitdenkend, handelnd, auch versagend. Aber auch betend. Denn da ist der Weinberg, mitten drin. Da ist der Weingärtner. Und der Weinstock. Da ist Kraft, die nicht aus der Rebe selbst kommt. Fruchtbringend.
Gerade ist Weinlese. Vielleicht pilgern Sie auch (mal wieder) ganz für sich durch einen Weinberg? Frei, mit Zeit und leichtem Gepäck. Offen für das, was kommt. Ich wünsche Ihnen einen goldenen Herbst und grüße Sie herzlich.

Carolin Esgen
Prädikantin im Evang.-Luth. Dekanatsbezirk Lohr