Würzburg (POW) „Es ist leichter, den Schaden zu vermeiden als ihn zu beheben“. So lautet das Fazit einer Fortbildung für Alten- und Krankenpflegepersonal der Caritas zum Thema Sturzprophylaxe. Über dreißig Pflegekräfte aus Unterfranken nahmen an der Fachtagung des Diözesan-Caritasverbandes und der AOK in der Missionsärztlichen Klinik in Würzburg teil.
„Lassen Sie Ihre Bewohner möglichst viel barfuß gehen“, forderte Diplomsportlehrer Franz-Jörg Richter seine Zuhörer auf. „Die Menschen liefen über viele hunderttausende Jahre barfuß. Erst seit zwei bis drei Generationen laufen wir in unserem Kulturkreis ganzjährig in Schuhen“. Der Bewegungsapparat sei darauf aber noch nicht abgestimmt, viele Wirbelsäulen- und Hüftschäden seien die Folge. Ständige Gymnastik, Gleichgewichtstraining und Bewegungsübungen würden viel dazu beitragen, Senioren vor Stürzen zu schützen. Richter, für die AOK als Bewegungsberater tätig, animierte die Pflegekräfte dazu, die Schuhe auszuziehen und Gleichgewichtsübungen mitzumachen.
In Alten- und Pflegeheimen, wo viele Bewohner die 80er und 90er Altersgrenze überschritten haben oder dement sind, sei die Gefahr eines Sturzes alltäglich. Dazu kommt ein weiteres Problem: „Eine bettlägerige Person baut pro Tag bis zu einem Prozent Muskelmasse ab, pro Woche Bettruhe bis zu einem Prozent Knochendichte“, erläuterte Dr. Michael Schwab von der Rehaklinik des Würzburger Bürgerspitals. Die Risiken lassen sich zwar nicht vermeiden, doch minimieren. Präventionsprogramme und Muskeltraining funktionierten nur, wenn Bewohner, Pflegepersonal, Ärzte und Angehörige regelmäßig mitmachten. In einigen Häusern gebe es bereits Modelle zur Sturzprophylaxe, in anderen müssen sie noch entwickelt werden.
Ein großes Interesse an Sturzprophylaxe habe auch die AOK, ließ der Würzburger Direktor Horst Keller wissen. Allein die Reha-Kosten aufgrund von Arm- und Hüftfrakturen seien im Bereich seiner Direktion in den vergangenen zwei Jahren von 6,9 auf 10,1 Millionen Euro gestiegen. In Bayern stünden in 1400 stationären Einrichtungen 110.149 Pflegebetten – 43 Prozent von ihnen werden laut Keller von AOK-Versicherten belegt. Zur Sturzprophylaxe gehörten auch Hüftprotektoren. Jeweils 500 Euro stelle die AOK Bayern jedem Pflegeheim zur Verfügung, damit ein erster Satz dieser engen Hüftbandagen angeschafft werden könne. Darüber hinaus finanziere die Krankenkasse Kraft- und Balancetraining für Altenheimbewohner sowie Schulungen für Pflegeheimmentoren.
Über rechtliche Aspekte referierte Professorin Sibylle Wollenschläger von der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt. Die Einführung der Pflegeversicherung 1995 habe eine Flut von Prozessen zur Einstufung der Pflegebedürftigkeit betroffener Menschen ausgelöst. Viele Häuser sähen sich seitdem mit Haftungsfragen und Schadensersatzforderungen aufgrund von Stürzen ihrer Bewohner konfrontiert. Weil hierbei auch Pflegemitarbeiter in die Pflicht genommen werden können, sollten diese sich schon im Eigeninteresse intensiv mit Sturzprophylaxe vertraut machen. Darüber hinaus soll die Fachtagung weitere Anreize geben. „Das Projekt Sturzprävention mit der AOK Bayern in Unterfranken bietet unseren Altenhilfeeinrichtungen eine echte Chance", resümierte Paul Greubel, beim Caritasverband zuständig für ambulante und stationäre Pflege. „Ich hoffe, dass sich viele daran beteiligen."
Jährlich ereignen sich in Deutschland bis zu fünf Millionen Stürze von über 65-jährigen Menschen. Rund 120.000 Hüftfrakturen, 40.000 Oberarmfrakturen und 30.000 sturzbedingte Schädel-Hirn-Verletzungen sind die Folge. Im Jahr 2003 wurden in dieser Altersgruppe fast 8000 Stürze mit Todesfolge registriert. Ein Großteil dieser Menschen war pflegebedürftig und damit in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt. Im hohen Alter kann ein einfacher Sturz die Lebensqualität erheblich reduzieren. Die Knochen heilen schlechter, die Angst vor weiteren Stürzen engt den Bewegungsradius ein und senkt damit das Selbstvertrauen.
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